L. van Dongen u.a. (Hrsg.): Transnational Anti-Communism

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Titel
Transnational Anti-Communism and the Cold War Agents. Agents, Activities, and Networks


Herausgeber
van Dongen, Luc; Stéphanie, Roulin; Giles, Scott-Smith
Erschienen
Basingstoke 2014: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Siegfried Weichlein, Departement Historische Wissenschaften - Zeitgeschichte, Universität Freiburg (Schweiz)

Eine der zentralen Aneignungsformen des Kalten Krieges in den europäischen Gesellschaften bildete nach 1945 der Antikommunismus. Auf den Antikommunismus, der in den europäischen Gesellschaften weit verbreitet war, konnte jeder zählen, der für die Umkodierung des nationalsozialistischen in ein kommunistisches Feindbild argumentierte. Von besonderem Wert war der Antikommunismus beim Werben um die Loyalität der undogmatischen sozialdemokratischen Linken. Eine entscheidende Rolle spielten dabei antikommunistische transnationale Netzwerke. Der vorliegende Band geht auf eine von Luc van Dongen und Stéphanie Roulin organisierte Tagung an der Universität Fribourg im Oktober 2011 zurück und betritt methodisch in zweierlei Hinsicht Neuland. Er versteht den Antikommunismus transnational und nicht mehr als Funktion eines Staates, und er fragt nach dem Antikommunismus als Ausdruck der europäischen Zivilgesellschaft. Welche zivilgesellschaftlichen Ressourcen trugen den Antikommunismus in Westeuropa nach 1945? Gegenstand sind transnationale Netzwerke von der Philanthropie über die Religion, die Wirtschaft und die Universitäten bis hin zu den Intellektuellen. Netzwerke sind damit teils kirchlich-religiös untermauert, teils wirtschaftlich oder politisch. Aber auch Elitenzirkel wie der «Cercle» verbreiteten transnational den Antikommunismus. Damit tritt ein facettenreiches Bild transnationaler antikommunistischer Netzwerke hervor, das seinen höchsten Verdichtungspunkt in den 1950er und den 1960er Jahren erreichte. Immer wieder gehen die Autoren in die Zwischenkriegszeit zurück, um das Gewicht und die tiefe Verankerung antikommunistischer Einstellungen zu belegen. Dennoch konnte er in verschiedenen Kontexten unterschiedliches bedeuten.

Der Band ist in vier Sektionen aufgeteilt, die die antikommunistischen Akteursgruppen und Handlungsformen in den Blick nehmen. Der erste Teil gilt den Organisationen im Dienst der transatlantischen antikommunistischen Solidarität, die unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten und ihres «informal empire» standen. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Abhängigkeit von Akteuren und Organisationen von den Vereinigten Staaten. Der dänische Journalist Sal Tas (Tity de Vries) fungierte als Agent westlicher Interessen in Afrika. Der Sozialdemokrat war von kaum zu überschätzendem Wert für die USA, verfügte er doch über die besten Beziehungen nach Indonesien und nach Nordafrika, Schlüsselregionen im Kalten Krieg. «He knew how to translate the metanarrative of the battle against the worldwide communist threat into comprehensible proposals» (75). Der Schweizer Gewerkschaftler Lucien Tronchet (Luc van Dongen) mit einer ursprünglich scharf linken politischen Einstellung mutierte zu einem Vertreter der Zusammenarbeit sozialer Klassen, kurz: des Konsens-Liberalismus. Im Ergebnis wurde er zum vehementen Antikommunisten mit engen Verbindungen zu den USA, was ihn allerdings vom Anti-Amerikanismus seiner Gewerkschaftskollegen absetzte. Diese und andere Beiträge (Dino Knudsen zu skandinavischen Gewerkschaften) zeigen die Rolle des Antikommunismus beim Kampf um die Loyalität der sozialdemokratischen Linken in Westeuropa auf.

Die zweite Sektion untersucht transnationale Netzwerke von den 1940er bis zu den 1980er Jahren. Dazu zählen Paix et liberté (Bernard Ludwig), die Assembly of captive European Nations (Martin Nekola), Interdoc (Giles Scott-Smith), die World Anti-Communist League (Pierre Abramovici), das britische Institute for the Study of Conflict (Jeffrey H. Michaels) und – besonders prominent – der Elitenzirkel Cercle (Adrian Hänni). Im Kern knüpften die meisten dieser Netzwerke an den älteren bürgerlichen Antikommunismus der Zwischenkriegszeit an. Die vierte Sektion zu den christlichen Netzwerken ergänzt das. Auch der protestantische wie auch der katholische Antikommunismus besaßen 1945 bereits eine lange Tradition. Aufschlussreich ist hier jedoch, dass es – im Gegensatz zur Titelformulierung in Teil IV – keinen entwickelten christlichen Antikommunismus gab. Für den International Council of Christian Churches war der Katholizismus im Grunde genauso gefährlich wie der Kommunismus, wenn nicht sogar gefährlicher. Zu Bündnisstrukturen kam es hier nicht (Markku Ruotsila).

Ein Juwel dieses Bandes ist die biographische Studie von Matthieu Gillabert über den polnischen Dominikaner und Fribourger Universitätsprofessor und Rektor Józef M. Bochenski, der gleich mehrere antikommunistische Netzwerke in seiner Person verband und zu einer Ikone des Antikommunismus wurde: kirchlich war er eng mit Rom und Polen verbunden, politisch mit der westdeutschen Bundesregierung und dem Ostinstitut in Köln. Bochenski gründete 1957 das Osteuropa-Institut der Universität Fribourg mit dem Ziel, hier die zukünftige antikommunistische Elite heranzubilden. Hier war der Punkt erreicht, an dem sich antikommunistische Netzwerke automatisch reproduzierten – was freilich nur bis in die frühen 1960er Jahre geschah. Dieser Band mit präzis gearbeiteten Studien zu den Netzwerken des Antikommunismus definiert den Stand der Forschung und ist unumgänglich für jeden, der sich mit dem Thema beschäftigt.

Zitierweise:
Siegfried Weichlein: Rezension zu: Luc van Dongen/Stéphanie Roulin/Giles Scott-Smith (Hg.), Transnational Anti-Communism and the Cold War Agents, Activities and Networks, Basingstoke/Hampshire, Palgrave Macmillan, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 424-425.

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